Dienstag, 30. Juni 2009

unknown Kings: Juni 2009

Wer kennt sie nicht? Die Werbung, mit der gefühlte 13 Millionen Amateurrapper in Form von Privatnachrichten in hiesigen Internetforen, Profilkommentaren auf MySpace oder Massenmails im Instantmessenger täglich unschuldige Konsumenten befeuern: "Hey, ich habe mein Album (Mixtape, Streettape, Streetalbum, Streetmixtape, Tapemixstreet, Albumtapemix... diese Liste lässt sich beliebig fortführen) fertig gestellt. Es ist vielseitig, individuell und hebt sich von allen anderen ab".
Es wäre schön, wenn jedes Release qualitativ so hochwertig wäre, wie angekündigt, aber bei der Masse an Rappern, die seit Internet in Deutschland rumgeistern, ist das nahezu unmöglich.
Die Folge: Der enttäuschte Raphörer bleibt bei Altbewährtem - da kann er ja (meistens) nichts falsch machen – während viele Releases, die bei weitem mehr Aufmerksamkeit verdienen, in der Masse untergehen.

Mit dieser Rubrik habe ich mir das Ziel gesetzt, Releases an die Öffentlichkeit zu bringen, die meiner Meinung nach (!) mehr Aufmerksamkeit verdienen. Hier werden weder die Releases überhypeter Internetgrößen anzutreffen sein, noch Marketingspezialisten, die nach ihrem zweiten geschriebenen Text schon ein eigenes Label, eine Webseite mitsamt Promoteam und ein von Papi im Hinterhof gefilmtes Musikvideo besitzen.
Es geht ausschließlich um die Qualität der Musik, um das Produkt.



Kico – Stimmungsschwankungen



Eigentlich ist dieses Release ein typisches Internet-Album: Battle-Represent-Dies-Das, einige unbekannte (und teilweise gar nicht mal so gute) Features, ab und zu mal ein nachdenklicher Text über das Leben, das einen doch immer in den Hintern tritt, und natürlich ein paar Doubletime-Einlagen. Und auch wenn hier thematisch nicht viel passiert, kann Kico mit seiner angenehmen Stimme, seiner lockeren und trotzdem energiegeladenen Art zu rappen und einfach auch ein bisschen Sympathie punkten. Geht es um Battle, bewegt er sich meistens irgendwo zwischen den gespreizten Beinen deiner Freundin (die macht es eh mit jedem, Bitch, aber nur mit ihm, weil er so gut aussieht), belanglosem Genitalvergleich und gut gemeinten, aber oft relativ abgedroschenen Vergleichen ("das kann nicht angeh'n wie kaputte Fernseher"). Wenn sich seine "Stimmungsschwankungen" dann aber mehr in Richtung ruhig und melancholisch bewegen, geht da schon etwas mehr. Die musikalische Untermalung passt und auch die Refrains sind meistens eingängig. Mit ein bisschen mehr Liebe zum Detail und vor allem Themenvielfalt kann das beim nächsten Mal was ganz Großes werden.

http://www.myspace.com/kicorap – kostenloser Download


Phil62 – Dein Blaues Wunder



So richtig kann ich Phil62, gesignt bei "667", nicht wirklich einschätzen. Dass er sich selbst nicht zu ernst nimmt und gern mal einen drauf macht, geht schon aus dem Titel dieses guten Stückes hervor. Doch wo soll ich zum Beispiel die Reimketten einordnen, die meistens nur aus sinnlos aneinander gereihten Wörtern besteht? Auch nur sein Senf zum Status quo der deutschen Raplandschaft, oder einfach nur Faulheit, sich hinzusetzen und passende Reime zu finden? Genug genörgelt. Phil imponiert durch einen ausgefallenen Flow (wer die Art seiner Betonungen gehört hat, weiß was ich meine), eine zwar etwas hohe aber kräftige Stimme und interessante Texte. Denn obwohl die Themen auch bei ihm nicht immer die ausgefallensten sind – wo sind sie das schon heutzutage? – kann er doch mit dem ein oder anderen Song überraschen. So rappt er zum Beispiel auf "Schizophren" à la "Touch it" über Engelchen-Teufelchen-Erfahrungen im Club. Auch wenn ich als Besserwisser sagen könnte, dass ich letzte Woche gelernt habe, dass es sich hierbei überhaupt nicht um Schizophrenie handelt – aber wer nennt seinen Track wohl gerne "Multiple Persönlichkeitsstörung"? Klänge ja uncool. Fazit: Gutes Album mit innovativem Style. Weiter so!

http://www.myspace.com/phil62ducktapes – zu kaufen


Graf Fidi – Grafische Darstellung



Es gibt verschiedenste Verhaltensmuster, die Menschen mit Behinderungen aufweisen. Depression, man kann nicht damit umgehen, dass man auf andere Menschen angewiesen ist. Doch oft kann man auch mit der Zeit Akzeptanz erkennen. Doch dass man jemanden wie Graf Fidi, der im Rollstuhl sitzt, antrifft, der so viel Lebensfreude ausstrahlt und aus der Musik so viel Kraft zu schöpfen scheint, ist selten. Irgendwie muss ich den Grafen einfach sympathisch finden. Das fängt schon bei seinem herrlichen Logo an (ein "G" kreuzt ein Mikrofon und stellt so einen Rollstuhlfahrer dar), geht weiter über die groovigen minimalistischen Beats, die sehr musikalisch wirken, und endet bei seinem frischen Rapstyle, der irgendwie überhaupt nicht zu den Genossen aus Berlin, seiner Heimatstadt, passt. Graf wirkt einfach frech, lässig – Scheiße, ich sprech' es einfach aus: Wie eine Mischung aus Dynamite Deluxe und Blumentopf. Steinigt mich für diesen Vergleich. Aber trotzdem passt er irgendwie. So wird das Album so manchem Mitt-Zwanziger vielleicht sogar die ein oder andere nostalgische Träne in die Augen treiben. Doch nicht nur die etwas an deutschen Old School-Rap erinnernde Art macht Graf Fidi aus. Er wirkt unbeschwert und hat kreative Ideen: So erleichtert er den Besuchern seiner Homepage das ewige langweilige Lesen seiner Informationen, sondern vertont seinen "Lyrischen Werdegang" direkt. Interessantes Gute-Laune-Album, welches für Technik-Battle-Mehrsilbenreime-Fanatiker vielleicht zu leichte Kost ist.

http://www.graffidi.de – zu kaufen


Du kennst jemanden (oder bist gar selbst der Meinung, dass du jemand bist), der dem Titel "unknown King" gerecht werden kann? Diese Person hat erst vor kurzem einen Tonträger oder Freedownload veröffentlicht, der eine Erwähnung in diesem Artikel wert ist? Schick eine Bewerbung mit dem Betreff "unknown Kings – *Künstlername*" an jan@rappers.in.
Bitte beachtet aber, dass ich nicht auf jede Anfrage persönlich antworten kann, ihr werdet sehen, ob das Release dann letztendlich seinen Platz in dieser Sammlung findet. Viel Erfolg!

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