Sonntag, 1. November 2009

unknown Kings: Oktober 2009

Wer kennt sie nicht? Die Werbung, mit der gefühlte 13 Millionen Amateurrapper in Form von Privatnachrichten in hiesigen Internetforen, Profilkommentaren auf MySpace oder Massenmails im Instantmessenger täglich unschuldige Konsumenten befeuern: "Hey, ich habe mein Album (Mixtape, Streettape, Streetalbum, Streetmixtape, Tapemixstreet, Albumtapemix... diese Liste lässt sich beliebig fortführen) fertig gestellt. Es ist vielseitig, individuell und hebt sich von allen anderen ab."
Es wäre schön, wenn jedes Release qualitativ so hochwertig wäre, wie angekündigt, aber bei der Masse an Rappern, die seit Internet in Deutschland rumgeistern, ist das nahezu unmöglich.
Die Folge: Der enttäuschte Raphörer bleibt bei Altbewährtem – da kann er ja (meistens) nichts falsch machen –, während viele Releases, die bei weitem mehr Aufmerksamkeit verdienen, in der Masse untergehen.

Mit dieser Rubrik habe ich mir das Ziel gesetzt, Releases an die Öffentlichkeit zu bringen, die meiner Meinung nach (!) mehr Aufmerksamkeit verdienen. Hier werden weder die Releases überhypeter Internetgrößen anzutreffen sein, noch Marketingspezialisten, die nach ihrem zweiten geschriebenen Text schon ein eigenes Label, eine Webseite mitsamt Promoteam und ein von Papi im Hinterhof gefilmtes Musikvideo besitzen.
Es geht ausschließlich um die Qualität der Musik, um das Produkt.




ElDia – Kopfreise



ElDia ist so ein Kandidat, der einfach aufgrund der Tatsache, dass er sich nicht versucht, mithilfe penetranter Werbung aufzudrängen (ein Gruß geht an dieser Stelle raus an alle Web 2.0-Vergewaltiger), schlicht und ergreifend von der riesigen Masse an Spam seiner Konkurrenten überrollt wird. Im Gegensatz zu eben denen hat ElDia 32 Freunde bei MySpace und einen ganzen Vote hier auf seiner rappers.in-Artistpage. Und dabei hat diese sechs Tracks starke EP schon einiges an Fertigkeiten des Rappers vorzuweisen. Auf Freebeats (laut eigener Aussage sind 80% von "rappers.in-Produzenten") philosophiert er über sehr persönliche Themen. Was heraussticht, ist das offensichtliche Fernweh, das ihn immer wieder songübergreifend dazu treiben will, die Welt zu sehen – was sich auch im Titel "Kopfreise" widerspiegelt. Das ist ein Ansatz, der sehr interessant ist und der EP auch den Hauch von einem roten Faden verleiht, auf den man vielleicht weiter hätte aufbauen können. Denn sonst passiert hier textlich eben Ähnliches wie bei vielen anderen Künstlern, die sich an "deepen" Inhalten versuchen: "Die Welt ist grau, es geht mir schlecht" – aber warum, weiß man als Hörer nie so wirklich genau, sodass diese ganze Melancholie einfach etwas aufgesetzt und zweckgeschrieben wirkt. Doch halb so wild, denn für die Ignoranz, mit der die Szene ElDia bisher begegnet ist, beweist er eine so überraschend gute Technik, dass ich jedem Leser hier mindestens einen Blick auf die Artistpage raten möchte. Bis auf wenige Ausnahmen überdurchschnittlich gute Texte treffen solide Rapskills. Und die Abfahrt "Stiller Schrei" wird hier noch öfter laufen!

http://www.myspace.com/eldiarap – kostenloser Download



PatriX – Truemanshow



PatriX dürfte dem ein oder anderen schon ein Begriff sein. Vor allem mit seinem letzten Solo-Album "Faible" konnte er sich eine solide Basis an Hörern und Akzeptanz der Szene erarbeiten, auf die es nun aufzubauen gilt. Ein Blick auf die Tracklist macht sofort klar: Das hier ist kein Rapper, der sich einfach wahllos von irgendwelchen Producern Beats schnappt und seine Strophen draufklatscht. Neben Jungtalent Cop Dickie zeichnet der Künstler somit selbst für den Großteil der Hintergrundklänge verantwortlich, einzelne Beats steuerten 4beating, 6ixbeats und Nowak bei. Der Titel "Truemanshow" lässt direkt einiges erahnen: Angelehnt an den namensgleichen Film, bekommt der Hörer durch das Album einen sehr intimen Einblick in PatriX' Leben. Der Künstler beschäftigt sich in den Songs mit Selbstverwirklichung, Zukunftsangst und vor allem mit dem Drang, sich nicht in den Einheitsbrei des Alltags einrühren lassen zu wollen. Und letzterer ist eben der Punkt, in dem der Albumtitel den roten Faden des Werks wie die Faust aufs Auge trifft. PatriX will raus aus diesem Rollenschema, in das er sich gedrängt fühlt, will ohne Ansprüche das Glücklichsein finden, doch fühlt sich letztendlich durch den Erfolgs- und Geschäftszwang der Gesellschaft einsam. Garniert mit viel Gesang, entfernen sich die Songs vom langweiligen Schema Part – Hook – Part und verleihen dem Album als Gesamtwerk etwas ganz sympathisch Eigenes.

http://www.myspace.com/patrix5zwo7 – kostenloser Download



Lingua Loca – Alles in Bewegung



Wie oft habe ich in den letzten zwei Jahren den Unmut vieler HipHop-Anhänger gegen den momentanen Trend "Rap mit Band" mitgekriegt. "Das ist ja überhaupt kein richtiger Rap mehr!", "Wohin ist die traditionelle Kombo MC – DJ verschwunden?" sind nur zwei Kommentare, die man immer wieder bei Konzerten von einigen Nörglern hört. Und das ist auch irgendwie nachvollziehbar. Denn oft sind die Lieder auf Grundlage von wuchtigen, im Studio produzierten Beats entstanden, die dann live mit Band nur mäßig nachgespielt werden. Lingua Loca ist aber ein ganz anderes Kaliber. Wenn man sich die vier Songs der EP "Alles in Bewegung" anhört, merkt man, dass sie schon von Grund auf bei der Entstehung ein Gemeinschaftserzeugnis darstellen. Bei dieser elf(!)-köpfigen Band scheint jedes Instrument gleichwertig zu sein. Da gibt es ein Saxophon, eine Posaune und eine Trompete als lockere Bläserformation, die "Standard"-Ausrüstung Gitarre, Bass, Keys und Drums, aber auch das HipHop-Element DJing kommt dank Philow an den Plattentellern und Percussions nicht zu kurz. Ari und Teee, die für die Raps zuständig sind, flowen gekonnt über gemütliche Melodien, die trotzdem live Abgehpotenzial haben. Man merkt der schon seit 2003 bestehenden Band auf jeden Fall die Routine, den Spaß an der Musik und das gute Zusammenspiel an. Für mich wieder mal ein Beweis dafür, was es ausmachen kann, wenn Musiker zusammen ihre Instrumente im Studio einspielen – da wirkt der Ein-Mann-Producer, der im Keller produziert ziemlich langweilig, oder? Super Sache!

http://www.lingualoca.com – zu kaufen



Du kennst jemanden (oder bist gar selbst der Meinung, dass du jemand bist), der dem Titel "unknown King" gerecht werden kann? Diese Person hat erst vor kurzem einen Tonträger oder Freedownload veröffentlicht, der eine Erwähnung in diesem Artikel wert ist? Schick eine Bewerbung mit dem Betreff "unknown Kings – *Künstlername*" an jan@rappers.in.
Bitte beachtet aber, dass ich nicht auf jede Anfrage persönlich antworten kann. Ihr werdet sehen, ob das Release dann letztendlich seinen Platz in dieser Sammlung findet. Viel Erfolg!

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