Dienstag, 29. September 2009

unknown Kings: August/September 2009 – Teil 2

Von wegen, Rap in Deutschland ist uninteressant, langweilig geworden, gar tot. Wenn es ginge, würde ich gerne jedem Ignoranten, der blind solche Behauptungen in den Raum wirft, mein E-Mail-Postfach vor den Latz hauen, um zu beweisen, dass dem eben überhaupt nicht so ist. Denn seit dem Start meiner Kolumne im Februar ist mein Mail-Server regelrecht überflutet von Anfragen und Empfehlungen von Releases, die zwar manchmal noch ausbaufähig, aber oft schon richtig gut und ausgefeilt sind. Gerade in den letzten zwei, drei Monaten hab' ich mich durch Demos so vieler bomben Rapper gehört, die ich noch überhaupt nicht kannte, dass es mir teilweise wirklich leid tat, nicht jedes mit ins Magazin nehmen zu können. Und von Einseitigkeit ist da absolut keine Spur. Wer sich durch meine vorherigen Artikel gekämpft hat, weiß, dass die beschriebenen Alben meistens vom Style her komplett verschieden sind, alle auf ihre Art frisch. Also, hier dieses Mal der "unknown Kings"-Zweiteiler, frei nach dem Motto: "Wer sagt, HipHop ist tot, sucht nur an den falschen Stellen!"


Scotch – Alkopop



Der Titel dieses Albums sagt eigentlich schon einiges über die bevorzugte Thematik der darauf befindlichen Songs aus. Und nee, hier geht es nicht (ausschließlich) um die von jungen Mädchen geliebten und von Eltern verachteten Mischgetränke à la Bacardi Breezer oder Rigo, "Alkopop" ist viel eher – oha! – ein Wortspiel. So singt und rappt Scotch meist auf nach vorne gehende Synthiebeats mit simplen aber hämmernden Drums. Alles ein bisschen poppig haltend, fordert er die Zuhörer zum Tanzen, Singen, Trinken und Sich-an-ihm-Aufgeilen auf. Autotune-Vergewaltigung inklusive, versteht sich. Und auch wenn ich persönlich finde, dass dieser oft sogenannte "T-Pain-Effekt" sowas von 2007 ist, bin ich im Auto sofort dazu geneigt im Provokations-Modus die Fenster runterzukurbeln und das Ding lauter zu drehen. Scotch versteht auf jeden Fall was von seinem Handwerk. Und mit seiner Meinung zu Deutschraps Status quo hält er sich auch nicht zurück. So rappt er zum Beispiel "Dein Sound klingt nach Straße, meiner nach Studio!" oder "Was, 'HipHop'? Ihr Affen, denn Pop ist jetzt Boss".
Obwohl die Prioritäten eindeutig auf Party gesetzt sind, verfällt er nicht gleich in das beliebte Schema, textlich wie technisch primitiv zu rappen. So findet man in seinen Strophen sowohl Punchlines und Vergleiche als auch Flowvariationen. Wahrscheinlich lange nicht jedermanns Sache, aber eine gute und launemachende Abwechslung.

http://www.myspace.com/scotchtime – kostenloser Download


Schlakks – Appetithäppchen



Diese auch wirklich als "Appetithäppchen" auf das angeblich Ende des Jahres erscheinende Album "Menschlich" zu verstehende EP des Wahl-Dortmunders Schlakks umfasst sechs Songs und ist im Großen und Ganzen mit zwei Adjektiven zu beschreiben: locker und gemütlich. Sowohl Beats als auch Raps sind hier meist leger gehalten und verbreiten insgesamt eine lockere Abhäng-Stimmung. Textlich bewegt sich Schlakks irgendwo zwischen poetischen Selbsteindrücken und etwas Sozialkritik, besticht aber vor allem durch Routine – hier stimmt jede Silbe, kein Addlip ist verrutscht. Auffällig sind auch die oft vielsilbigen Reime, die sich stets gut in den Gesamtkontext einfügen. Wirkt insgesamt auf mich alles schon ein bisschen "oldschooliger". Das einzige Manko (und diesen Kritikpunkt hatte ich bis jetzt in noch keiner Review) ist die Stimme. Natürlich ist das hier mein vollkommen subjektives Empfinden, aber irgendetwas unterschwellig bassiges liegt da für mein Ohr drin, was den gesamten Rap trotz der vorher angesprochenen Souveränität immer ein kleines bisschen unsicher wirken lässt. Was aber kein allzu großes Contra gegen den kostenlosen Download dieses guten Werkes ist. Gute Musik zum gemütlichen Gammeln.

http://www.myspace.com/schlakksi – kostenloser Download


Derik – Mitterana Karma



Dem Pressetext zufolge erhofft man sich, Derik könne mit seinem Album "Mitterana Karma" wieder etwas Oldschool-Flavour vermitteln. Finde ich nicht. Das ist aber auch nicht wirklich schlimm. Sowohl Beats als auch Rap lassen mich zwar keineswegs in Erinnerungen an alte Rap-Klassiker schwelgen. Aber Derik zieht – was umso besser ist – sein eigenes Ding durch und hat so meiner Meinung nach viel mehr Respekt verdient als der tausendste (Achtung, nicht abwertend gemeint:) Backpacker, der auf Premo-Kopien den alten Zeiten hinterhertrauert. Im Intro verkündet Derik, er besitze "1000 Stimmen", die alle etwas anderes zu sagen haben. Und das trifft auch irgendwie auf seine Musik zu. So spielt er gerne mal mit seiner Stimme, verstellt sie, schlüpft in andere Rollen und verleiht so dem ganzen Album einiges an Vielfalt und Pepp. Man hat fast das Gefühl, dass Derik in jedem Song ein bisschen anders klingt. Er kann aber auch nachdenkliche Töne anstimmen. Dieser Spagat ist durch die immer mitschwingende Unbeschwertheit, die er vermittelt, aber nie eine Gefahr für die Glaubwürdigkeit des Künstlers. Besonders schmackhaft sind aber nichtsdestotrotz die witzigen Stücke des Albums wie etwa der "Clubtrack" mit herrlich schräger Ohrwurmhook oder die Gasteinlage des Motzers. Mit noch etwas mehr Sorgfalt beim Einrappen und Konzentration auf die Silbenanzahl der Zeilen beim Schreiben, um kleine Nuschler und Quetscher zu vermeiden, kann das noch was richtig Gutes werden.

http://www.myspace.com/derikmusik – zu kaufen


Du kennst jemanden (oder bist gar selbst der Meinung, dass du jemand bist), der dem Titel "unknown King" gerecht werden kann? Diese Person hat erst vor kurzem einen Tonträger oder Freedownload veröffentlicht, der eine Erwähnung in diesem Artikel wert ist? Schick eine Bewerbung mit dem Betreff "unknown Kings – *Künstlername*" an jan@rappers.in.
Bitte beachtet aber, dass ich nicht auf jede Anfrage persönlich antworten kann. Ihr werdet sehen, ob das Release dann letztendlich seinen Platz in dieser Sammlung findet. Viel Erfolg!

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