Montag, 23. November 2009

Mädness – Zuckerbrot & Peitsche



01. Zuckerbrot & Peitsche
02. Querfeldein
03. Kein Kompromiss
feat. Olli Banjo
04. Cool
05. Schöne Menschen
feat. Morlockk Dilemma
06. Wer ist der Beste?
07. Damals ist vorbei
08. Solche Rapper
feat. Kool Savas
09. Guck dich an
10. Bin ich schon drin?
11. Sucht
12. Unterschätzt
feat. Patrick mit Absicht
13. Warteschleife
14. Schurz
15. Meine Party
feat. Baggefudda & El Ray
16. Hip Hop
17. Gude (Liveversion)


Mädness, der ab und zu mal gerne mit zwei Jungs an der Tankstelle rumhängt und außerdem ein echtes Unikat ist, beruft sich jetzt auf seine Authorität. Schluss mit lustig, Wischiwaschi-Lotterleben, "Gude" und so, jetzt werden "Zuckerbrot & Peitsche" ausgepackt. Wird Deutschrap nun endlich erzogen? Eine gewisse freie Enzyklopädie spuckt zu diesem Thema nämlich hauptsächlich Dinge aus wie: "Die Zuckerbrot-und-Peitsche-Methode besteht nun darin, gezielt sowohl positive Gefühle (z.B. durch Lob) bei gewünschtem Verhalten als auch negative Gefühle (Tadel) bei unerwünschtem Verhalten auszulösen." Das passt irgendwie, denn nach über zehn Jahren Umtriebigkeit auf Freestylebattles, Jams und (vermehrt in den letzten Jahren) natürlich auch im Studio, hat Mädness eigentlich so einiges zu sagen. Vor allem den Respekt von szeneinternen Kollegen und eingefleischten HipHop-Heads hat er schon länger. Nachdem er aber lange Zeit trotzdem noch weitgehend unter der Oberfläche blieb, erreichte er mit dem Release von "Unikat" 2007 erstmals auch weitreichenderes Aufsehen, auf das sich nun mit seinem zweiten Soloalbum aufbauen lässt. Laut eigener Aussage wesentlich flüssiger und um einiges härter als auf seinem Debüt.

Härter stimmt. Wenn auch schon der Vorgänger sehr in Richtung elektronische Musik ging, ließ vor allem die Onlinetrack-Zusammenstellung "Als hätt' ich nix getan" durchscheinen, wie es hier künftig weiterzugehen hat. Nämlich nochmal um einiges experimenteller. Auf Brettern von
Kollege Schnürschuh, Dirty Dasmo,Stützpunkt.643 und Rocko wird geglitcht, geswitcht und gekitscht, was das Zeug hält. Das tut der Qualität keinen Abbruch, denn stumpfe Raps auf Electrobeats kann man von Mädness, der ab und an gerne mal einen Rucksack sportet, wahrscheinlich als Letztes erwarten. Denn der vereint eigentlich ziemlich viel von dem, was man so braucht, um ein erfolgreicher und angesehener Rap-Künstler zu sein. Und das alles auf seine eigene Art. So wird der lockere hessische Akzent mit Wortwitz, aber auch zum Teil mit sinnfreien und gerade deswegen genialen Themen kombiniert, ohne dass die nötige Prise Ernsthaftigkeit auf der Strecke bleibt. Und auch an seinen Rapskills hat Mädness gefeilt. Wo er schon auf seinem Debütalbum mit ausgefallenen Flows und Switches überzeugen konnte, schindet er nun noch mehr Eindruck mit progressiveren, schnelleren Parts, ohne textlich in schwachsinnige Phrasendrescherei abzudriften. Der selbsternannte "Gude" beweist auf seinem Album aufs Neue, dass er – und ich lehne mich hier bewusst weit aus dem Fenster – einer der ganz wenigen in Deutschland ist, die es zustande bringen, einen Flowwechsel nach dem anderen hinzulegen, ohne dabei bewusst oder unbewusst Kool Savas zu imitieren.

"
Verstehste? Das sind ganz andere Kreise/
Hier scheißt man noch Blumen und sagt Lounge zu 'ner Kneipe/
Und genau dieser Unterschied macht es entscheidend/
Und filtert den Dreck von den Schönen und Reichen/
"

Auf "
Schöne Menschen" führt Mädness die Erzählart, die er auch schon früher benutzt hat, fort und rappt ironisch über Snobs, Wichtigtuer und Schnösel. Unterstützt wird er dabei von Morlockk Dilemma. Auch sonst hat der Rapper so einige Spezialgäste im Rucksack: Sowohl Olli Banjo, Kool Savas, Patrick mit Absicht als auch Baggefudda und El Ray steuern jeder auf seine Art ihren Teil zum Gesamtwerk bei.

Wenn man dieses Album nun nochmal mit seinem Vorgänger "Unikat" vergleicht, fallen neben den schnelleren Rapparts vor allem auch thematisch ein paar Veränderungen auf. Wo
Mädness auf seinem Debütalbum ab und an noch etwas tiefer in seine Gedankengänge und Privatsphäre blicken lässt (auf einer Abrechnung mit seiner Ex zum Beispiel), finden sich auf "Zuckerbrot & Peitsche" fast nur noch Representing-Songs über HipHop und Realkeeping plus natürlich eine ordentliche Portion "Dummgebabbel". Aber auch völlig behämmerte Songs ("Konterschoppe") sind diesmal nicht vertreten. Obwohl:

"
Frauen sind auch viel schlimmer als Männer, weiß sie/
Weil die beim Geschäft oft gerne vorbeiziel'n/
Damenhaft erträgt sie die Last/
Sie kneift beide Backen zusammen, damit's klappt/
"

Nichts für zarte Gemüter ist "
Schurz". Mädness erzählt die Geschichte eines Dates mit... unkonventionellem Ende aus zwei Sichten: seiner und ihrer. Auch "Guck dich an" ist ein Song, der auf jeden Fall Beachtung finden sollte. Wetten, dass es sich hierbei um einen offenen Brief an einen TV-Moderator handelt?
Letztendlich könnte ich noch über einige Songs mehr schreiben, da sie sich entweder durch witzige Thematik oder versierte Technik auszeichnen. An einer Stelle hapert es aber fast immer: Wo sind die eingängigen Hooks? Auch schon beim letzten Album war mein Hauptkritikpunkt, dass sich auf den Songs so gut wie nie ein Refrain finden ließ, der gut ins Ohr ging. Ich will jetzt nicht mit Autotune-Gekrächze anfangen, aber ich vermisse hier die richtig gut gerappten Hooklines.

Fazit:
Auf Wikipedia stand zum Thema "
Zuckerbrot & Peitsche" zwar auch noch: "Wie bei der Pferdedressur stellt die Peitsche also zumeist eine Drohung dar, die nur selten tatsächlich eingesetzt wird." Meine Angst, dass es sich hier nur um eine lasche Fortsetzung eines unerwartet und zu Recht gefeierten Erstlingswerks handelt, war aber zum Glück unbegründet. Der Nachfolger besticht durch noch ausgefeiltere, nahezu perfekte Raptechnik und den gewohnten Wortwitz. Trotzdem kann das Werk durch die fehlenden herausstechenden Songs (vor allem wegen der Hooks) teilweise etwas einseitig wirken. Schafft es für mich aufgrund dieser Kritikpunkte nicht ganz zum "Unikat".

Sonntag, 1. November 2009

unknown Kings: Oktober 2009

Wer kennt sie nicht? Die Werbung, mit der gefühlte 13 Millionen Amateurrapper in Form von Privatnachrichten in hiesigen Internetforen, Profilkommentaren auf MySpace oder Massenmails im Instantmessenger täglich unschuldige Konsumenten befeuern: "Hey, ich habe mein Album (Mixtape, Streettape, Streetalbum, Streetmixtape, Tapemixstreet, Albumtapemix... diese Liste lässt sich beliebig fortführen) fertig gestellt. Es ist vielseitig, individuell und hebt sich von allen anderen ab."
Es wäre schön, wenn jedes Release qualitativ so hochwertig wäre, wie angekündigt, aber bei der Masse an Rappern, die seit Internet in Deutschland rumgeistern, ist das nahezu unmöglich.
Die Folge: Der enttäuschte Raphörer bleibt bei Altbewährtem – da kann er ja (meistens) nichts falsch machen –, während viele Releases, die bei weitem mehr Aufmerksamkeit verdienen, in der Masse untergehen.

Mit dieser Rubrik habe ich mir das Ziel gesetzt, Releases an die Öffentlichkeit zu bringen, die meiner Meinung nach (!) mehr Aufmerksamkeit verdienen. Hier werden weder die Releases überhypeter Internetgrößen anzutreffen sein, noch Marketingspezialisten, die nach ihrem zweiten geschriebenen Text schon ein eigenes Label, eine Webseite mitsamt Promoteam und ein von Papi im Hinterhof gefilmtes Musikvideo besitzen.
Es geht ausschließlich um die Qualität der Musik, um das Produkt.




ElDia – Kopfreise



ElDia ist so ein Kandidat, der einfach aufgrund der Tatsache, dass er sich nicht versucht, mithilfe penetranter Werbung aufzudrängen (ein Gruß geht an dieser Stelle raus an alle Web 2.0-Vergewaltiger), schlicht und ergreifend von der riesigen Masse an Spam seiner Konkurrenten überrollt wird. Im Gegensatz zu eben denen hat ElDia 32 Freunde bei MySpace und einen ganzen Vote hier auf seiner rappers.in-Artistpage. Und dabei hat diese sechs Tracks starke EP schon einiges an Fertigkeiten des Rappers vorzuweisen. Auf Freebeats (laut eigener Aussage sind 80% von "rappers.in-Produzenten") philosophiert er über sehr persönliche Themen. Was heraussticht, ist das offensichtliche Fernweh, das ihn immer wieder songübergreifend dazu treiben will, die Welt zu sehen – was sich auch im Titel "Kopfreise" widerspiegelt. Das ist ein Ansatz, der sehr interessant ist und der EP auch den Hauch von einem roten Faden verleiht, auf den man vielleicht weiter hätte aufbauen können. Denn sonst passiert hier textlich eben Ähnliches wie bei vielen anderen Künstlern, die sich an "deepen" Inhalten versuchen: "Die Welt ist grau, es geht mir schlecht" – aber warum, weiß man als Hörer nie so wirklich genau, sodass diese ganze Melancholie einfach etwas aufgesetzt und zweckgeschrieben wirkt. Doch halb so wild, denn für die Ignoranz, mit der die Szene ElDia bisher begegnet ist, beweist er eine so überraschend gute Technik, dass ich jedem Leser hier mindestens einen Blick auf die Artistpage raten möchte. Bis auf wenige Ausnahmen überdurchschnittlich gute Texte treffen solide Rapskills. Und die Abfahrt "Stiller Schrei" wird hier noch öfter laufen!

http://www.myspace.com/eldiarap – kostenloser Download



PatriX – Truemanshow



PatriX dürfte dem ein oder anderen schon ein Begriff sein. Vor allem mit seinem letzten Solo-Album "Faible" konnte er sich eine solide Basis an Hörern und Akzeptanz der Szene erarbeiten, auf die es nun aufzubauen gilt. Ein Blick auf die Tracklist macht sofort klar: Das hier ist kein Rapper, der sich einfach wahllos von irgendwelchen Producern Beats schnappt und seine Strophen draufklatscht. Neben Jungtalent Cop Dickie zeichnet der Künstler somit selbst für den Großteil der Hintergrundklänge verantwortlich, einzelne Beats steuerten 4beating, 6ixbeats und Nowak bei. Der Titel "Truemanshow" lässt direkt einiges erahnen: Angelehnt an den namensgleichen Film, bekommt der Hörer durch das Album einen sehr intimen Einblick in PatriX' Leben. Der Künstler beschäftigt sich in den Songs mit Selbstverwirklichung, Zukunftsangst und vor allem mit dem Drang, sich nicht in den Einheitsbrei des Alltags einrühren lassen zu wollen. Und letzterer ist eben der Punkt, in dem der Albumtitel den roten Faden des Werks wie die Faust aufs Auge trifft. PatriX will raus aus diesem Rollenschema, in das er sich gedrängt fühlt, will ohne Ansprüche das Glücklichsein finden, doch fühlt sich letztendlich durch den Erfolgs- und Geschäftszwang der Gesellschaft einsam. Garniert mit viel Gesang, entfernen sich die Songs vom langweiligen Schema Part – Hook – Part und verleihen dem Album als Gesamtwerk etwas ganz sympathisch Eigenes.

http://www.myspace.com/patrix5zwo7 – kostenloser Download



Lingua Loca – Alles in Bewegung



Wie oft habe ich in den letzten zwei Jahren den Unmut vieler HipHop-Anhänger gegen den momentanen Trend "Rap mit Band" mitgekriegt. "Das ist ja überhaupt kein richtiger Rap mehr!", "Wohin ist die traditionelle Kombo MC – DJ verschwunden?" sind nur zwei Kommentare, die man immer wieder bei Konzerten von einigen Nörglern hört. Und das ist auch irgendwie nachvollziehbar. Denn oft sind die Lieder auf Grundlage von wuchtigen, im Studio produzierten Beats entstanden, die dann live mit Band nur mäßig nachgespielt werden. Lingua Loca ist aber ein ganz anderes Kaliber. Wenn man sich die vier Songs der EP "Alles in Bewegung" anhört, merkt man, dass sie schon von Grund auf bei der Entstehung ein Gemeinschaftserzeugnis darstellen. Bei dieser elf(!)-köpfigen Band scheint jedes Instrument gleichwertig zu sein. Da gibt es ein Saxophon, eine Posaune und eine Trompete als lockere Bläserformation, die "Standard"-Ausrüstung Gitarre, Bass, Keys und Drums, aber auch das HipHop-Element DJing kommt dank Philow an den Plattentellern und Percussions nicht zu kurz. Ari und Teee, die für die Raps zuständig sind, flowen gekonnt über gemütliche Melodien, die trotzdem live Abgehpotenzial haben. Man merkt der schon seit 2003 bestehenden Band auf jeden Fall die Routine, den Spaß an der Musik und das gute Zusammenspiel an. Für mich wieder mal ein Beweis dafür, was es ausmachen kann, wenn Musiker zusammen ihre Instrumente im Studio einspielen – da wirkt der Ein-Mann-Producer, der im Keller produziert ziemlich langweilig, oder? Super Sache!

http://www.lingualoca.com – zu kaufen



Du kennst jemanden (oder bist gar selbst der Meinung, dass du jemand bist), der dem Titel "unknown King" gerecht werden kann? Diese Person hat erst vor kurzem einen Tonträger oder Freedownload veröffentlicht, der eine Erwähnung in diesem Artikel wert ist? Schick eine Bewerbung mit dem Betreff "unknown Kings – *Künstlername*" an jan@rappers.in.
Bitte beachtet aber, dass ich nicht auf jede Anfrage persönlich antworten kann. Ihr werdet sehen, ob das Release dann letztendlich seinen Platz in dieser Sammlung findet. Viel Erfolg!

Review: Hassan Annouri – International



01. Intro
02. Ich hoffe du weisst mir geht es gut
03. Teufelskreis
04. Wahrheit
feat. Cassandra Steen
05. Revanche feat. Afrob & She-Raw
06. Gutes Mädchen
07. Bring mich bitte heim
08. Tanz für mich
09. Hoffnung
10. Danke Interlude
11. So cool wie ich
12. Alles vergessen
feat. Bouchnak & Valezka
13. Kopf oder Zahl feat. Eko Fresh
14. Traurige Lieder feat. Dean Dawson & Blaze
15. Immer wenn ich...
16. Lizenz
feat. Curse, Dean Dawson, Blaze, Jeyz & R.A.F
17. Wir lieben unseren Glauben
18. Bock auf'n Beat
feat. Sido & Harris

Es scheint wohl im Moment die Zeit der lange angekündigten, aber immer wieder aufgeschobenen Releases zu sein. Denn nach vielen Jahren im Geschäft veröffentlicht nun auch Hassan Annouri, seines Zeichens Teil des Produzenten-Duos "Bock auf'n Beat", endlich sein Debütalbum "International". Wem weder Hassan, noch "Bock auf'n Beat" ein Begriff sein sollte: Der Frankfurter Produzent, Rapper und Sänger hat in den letzten Jahren nicht nur für Nico Suave, Olli Banjo oder Joy Denalane musikalische Ergüsse auf die Platten gebracht, sondern hatte auch für Größen wie Fatman Scoop, Dr. Dre und Xzibit per Remixerei die Finger im Spiel. Doch der Wunsch, selbst für jedes Lied vom ersten Klaviertastendruck über das Schreiben der Lyrics bis hin zum Einrappen verantwortlich zu sein, ist – so er selbst über die Entstehung des Albums – mit der Zeit immer stärker geworden. Und nun, nach längerer Zeit des Werkelns, veröffentlichte er das Album "International" mit mächtig Verstärkung im Gepäck.

International also. Wer jetzt auf ein Album mit Sprachenvielfalt von Indonesisch bis Swahili hofft, wird leider enttäuscht werden. Denn internationale Künstler sind hier fast keine vertreten. Vielmehr sieht Hassan Annouri sich selbst als "international", was zum Teil an seiner marokkanischen Herkunft, seiner Verbundenheit zu den Problemvierteln Frankfurts, aber auch an seiner musikalischen Umtriebigkeit in den letzten Jahren liegen dürfte. Und das merkt man der Platte auch sofort an. Produktionstechnisch bekommt der Hörer hier einiges geboten. Hassan reduziert seine Künste nicht auf billige Synthieklänge, sondern macht Musik mit Hand und Fuß. Da werden hier und da mal Klavier und Bass selbst eingespielt, man hört am Ende eines Liedes ein Solo und von groovigen Drumsequenzen muss man bei Percussion-Wunder Annouri sowieso ausgehen. Insgesamt bewegt sich das Album, was Musikalität angeht, weit über dem HipHop-Durchschnitt, der zur Zeit so durch die Boxen schleicht. Kombiniert wird dieser musikalische Grundriss mit der passenden Stimme Hassans, die – auch wenn es widersprüchlich klingt – rough, aber trotzdem irgendwie smooth wirkt. Thematisch erzählt er Geschichten aus seiner oder der Vergangenheit Anderer, nutzt aber auch die Gelegenheit, das ein oder andere Mädchen zum Tanzen aufzufordern. Textlich ist das weder peinlich, noch mitreißend, weder gezwungen noch poetisch.

"Ich bin der Drogendealer, ich hab' braune Haut und schwarze Haare/
Ich bin schlecht für deine Tochter, weil ich gern 'nen Bart trage/
Dabei schreib' ich nur Verse und setz' dazu 'n paar Noten/
Ich bring' die Liebe wieder zurück und schick' den Hass zu euch Idioten/
"

Auf dem Song "Wahrheit" mit Cassandra Steen spricht der Marokkaner das aus, was ihm schon lange auf der Zunge liegt: die Wahrheit. So geht es um seine eigenen Gefühle und Ängste, in der zweiten Strophe rechnet er mit den von ihm erlebten Vorurteilen gegen ihn und andere Ausländer ab. Wie man merkt, geht es hier oft persönlich zu, was zum Teil interessant, aber auch leider immer wieder belanglos, da schon viel zu oft gehört, ist. Mittlerweile scheint die Tatsache, dass (nicht nur) ausländisch-stämmige Deutsche in den Brennpunkten von Großstädten eine schwere Jugend voller Probleme und Vorurteile haben, auch bei Klaas aus Nordfriesland angekommen zu sein. Deswegen passiert hier thematisch nicht viel Neues. Ähnliche Einflüsse hat auch der Song "Gutes Mädchen", in dem Hassan – dieses Mal in Form von Storytelling – über ein Mädchen erzählt, das aufgrund eines schlechten Umfelds und dem Mangel an Selbstachtung abstürzt:

"Sie würde gerne ein neues Leben starten/
Sie würde gerne Kinder, ein Haus und 'n guten Mann haben/
Sie würde gerne zurück zu ihren Eltern geh'n/
Doch weiß genau, dass ihre Eltern sie nicht gerne seh'n/
"

Die in der Einleitung dieser Review schon erwähnte Umtriebigkeit Hassans in der Musikszene ist nicht nur der Vielfalt der Hintergrundklänge anzumerken. So ließen sich viele der Künstler, die von ihm zuvor schon produziert wurden, nicht zweimal bitten und steuerten Strophen und Refrains bei, was dem Album natürlich eine gewisse Vielfältigkeit verleiht. Aber das musikalische Gesamtbild, das durch den Einklang zwischen der Musik und der Stimme Hassans vermittelt wird, wird so durch viele unterschiedliche Rap-Parts anderer Künstler gestört. Man könnte sogar so weit gehen, zu behaupten, dass sie das Werk stellenweise zu einem simplen Kollaboalbum abwerten – ein Titel, den es auf keinen Fall verdient hat. Die gesungenen Refrains passen sich dem musikalischen Kontext zwar gut an, wirken aber auf mich zum Teil etwas gezwungen, als wären da zehn Stimmen in verschiedenen Tonlagen eingesungen worden, um extrem viel Spannung und Dirtyness einzubringen. Doch weg vom Gesang: Vor allem Raptechnik-Fanatiker werden einen Bogen um die Künste Hassans machen. Denn den Luxus, in den Genuss von Doppelreimen, Flowabfahrten oder gar rhetorischer Gewandtheit zu kommen, kann ich hier – Hand aufs Herz – niemandem versprechen.

Fazit:
Hassan Annouri liefert mit "International" ein einwandfrei produziertes Debütalbum ab, welches vor allem durch Vielfalt und Musikalität beeindrucken kann. In Sachen Raptechnik und Thematik ist er zwar nicht unbedingt auf dem progressivsten Kurs, letztendlich schadet es dem Gesamtbild aber nicht wirklich. Ob die hohe Zahl der Featuregäste störend, wichtig, oder gar notwendig ist, bleibt dem Hörer selbst überlassen. Gutes Debütalbum, das hohe Erwartungen an einen Nachfolger mit sich bringt.

Dienstag, 29. September 2009

unknown Kings: August/September 2009 – Teil 2

Von wegen, Rap in Deutschland ist uninteressant, langweilig geworden, gar tot. Wenn es ginge, würde ich gerne jedem Ignoranten, der blind solche Behauptungen in den Raum wirft, mein E-Mail-Postfach vor den Latz hauen, um zu beweisen, dass dem eben überhaupt nicht so ist. Denn seit dem Start meiner Kolumne im Februar ist mein Mail-Server regelrecht überflutet von Anfragen und Empfehlungen von Releases, die zwar manchmal noch ausbaufähig, aber oft schon richtig gut und ausgefeilt sind. Gerade in den letzten zwei, drei Monaten hab' ich mich durch Demos so vieler bomben Rapper gehört, die ich noch überhaupt nicht kannte, dass es mir teilweise wirklich leid tat, nicht jedes mit ins Magazin nehmen zu können. Und von Einseitigkeit ist da absolut keine Spur. Wer sich durch meine vorherigen Artikel gekämpft hat, weiß, dass die beschriebenen Alben meistens vom Style her komplett verschieden sind, alle auf ihre Art frisch. Also, hier dieses Mal der "unknown Kings"-Zweiteiler, frei nach dem Motto: "Wer sagt, HipHop ist tot, sucht nur an den falschen Stellen!"


Scotch – Alkopop



Der Titel dieses Albums sagt eigentlich schon einiges über die bevorzugte Thematik der darauf befindlichen Songs aus. Und nee, hier geht es nicht (ausschließlich) um die von jungen Mädchen geliebten und von Eltern verachteten Mischgetränke à la Bacardi Breezer oder Rigo, "Alkopop" ist viel eher – oha! – ein Wortspiel. So singt und rappt Scotch meist auf nach vorne gehende Synthiebeats mit simplen aber hämmernden Drums. Alles ein bisschen poppig haltend, fordert er die Zuhörer zum Tanzen, Singen, Trinken und Sich-an-ihm-Aufgeilen auf. Autotune-Vergewaltigung inklusive, versteht sich. Und auch wenn ich persönlich finde, dass dieser oft sogenannte "T-Pain-Effekt" sowas von 2007 ist, bin ich im Auto sofort dazu geneigt im Provokations-Modus die Fenster runterzukurbeln und das Ding lauter zu drehen. Scotch versteht auf jeden Fall was von seinem Handwerk. Und mit seiner Meinung zu Deutschraps Status quo hält er sich auch nicht zurück. So rappt er zum Beispiel "Dein Sound klingt nach Straße, meiner nach Studio!" oder "Was, 'HipHop'? Ihr Affen, denn Pop ist jetzt Boss".
Obwohl die Prioritäten eindeutig auf Party gesetzt sind, verfällt er nicht gleich in das beliebte Schema, textlich wie technisch primitiv zu rappen. So findet man in seinen Strophen sowohl Punchlines und Vergleiche als auch Flowvariationen. Wahrscheinlich lange nicht jedermanns Sache, aber eine gute und launemachende Abwechslung.

http://www.myspace.com/scotchtime – kostenloser Download


Schlakks – Appetithäppchen



Diese auch wirklich als "Appetithäppchen" auf das angeblich Ende des Jahres erscheinende Album "Menschlich" zu verstehende EP des Wahl-Dortmunders Schlakks umfasst sechs Songs und ist im Großen und Ganzen mit zwei Adjektiven zu beschreiben: locker und gemütlich. Sowohl Beats als auch Raps sind hier meist leger gehalten und verbreiten insgesamt eine lockere Abhäng-Stimmung. Textlich bewegt sich Schlakks irgendwo zwischen poetischen Selbsteindrücken und etwas Sozialkritik, besticht aber vor allem durch Routine – hier stimmt jede Silbe, kein Addlip ist verrutscht. Auffällig sind auch die oft vielsilbigen Reime, die sich stets gut in den Gesamtkontext einfügen. Wirkt insgesamt auf mich alles schon ein bisschen "oldschooliger". Das einzige Manko (und diesen Kritikpunkt hatte ich bis jetzt in noch keiner Review) ist die Stimme. Natürlich ist das hier mein vollkommen subjektives Empfinden, aber irgendetwas unterschwellig bassiges liegt da für mein Ohr drin, was den gesamten Rap trotz der vorher angesprochenen Souveränität immer ein kleines bisschen unsicher wirken lässt. Was aber kein allzu großes Contra gegen den kostenlosen Download dieses guten Werkes ist. Gute Musik zum gemütlichen Gammeln.

http://www.myspace.com/schlakksi – kostenloser Download


Derik – Mitterana Karma



Dem Pressetext zufolge erhofft man sich, Derik könne mit seinem Album "Mitterana Karma" wieder etwas Oldschool-Flavour vermitteln. Finde ich nicht. Das ist aber auch nicht wirklich schlimm. Sowohl Beats als auch Rap lassen mich zwar keineswegs in Erinnerungen an alte Rap-Klassiker schwelgen. Aber Derik zieht – was umso besser ist – sein eigenes Ding durch und hat so meiner Meinung nach viel mehr Respekt verdient als der tausendste (Achtung, nicht abwertend gemeint:) Backpacker, der auf Premo-Kopien den alten Zeiten hinterhertrauert. Im Intro verkündet Derik, er besitze "1000 Stimmen", die alle etwas anderes zu sagen haben. Und das trifft auch irgendwie auf seine Musik zu. So spielt er gerne mal mit seiner Stimme, verstellt sie, schlüpft in andere Rollen und verleiht so dem ganzen Album einiges an Vielfalt und Pepp. Man hat fast das Gefühl, dass Derik in jedem Song ein bisschen anders klingt. Er kann aber auch nachdenkliche Töne anstimmen. Dieser Spagat ist durch die immer mitschwingende Unbeschwertheit, die er vermittelt, aber nie eine Gefahr für die Glaubwürdigkeit des Künstlers. Besonders schmackhaft sind aber nichtsdestotrotz die witzigen Stücke des Albums wie etwa der "Clubtrack" mit herrlich schräger Ohrwurmhook oder die Gasteinlage des Motzers. Mit noch etwas mehr Sorgfalt beim Einrappen und Konzentration auf die Silbenanzahl der Zeilen beim Schreiben, um kleine Nuschler und Quetscher zu vermeiden, kann das noch was richtig Gutes werden.

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unknown Kings: August/September 2009 – Teil 1

Von wegen, Rap in Deutschland ist uninteressant, langweilig geworden, gar tot. Wenn es ginge, würde ich gerne jedem Ignoranten, der blind solche Behauptungen in den Raum wirft, mein E-Mail-Postfach vor den Latz hauen, um zu beweisen, dass dem eben überhaupt nicht so ist. Denn seit dem Start meiner Kolumne im Februar ist mein Mail-Server regelrecht überflutet von Anfragen und Empfehlungen von Releases, die zwar manchmal noch ausbaufähig, aber oft schon richtig gut und ausgefeilt sind. Gerade in den letzten zwei, drei Monaten hab' ich mich durch Demos so vieler bomben Rapper gehört, die ich noch überhaupt nicht kannte, dass es mir teilweise wirklich leid tat, nicht jedes mit ins Magazin nehmen zu können. Und von Einseitigkeit ist da absolut keine Spur. Wer sich durch meine vorherigen Artikel gekämpft hat, weiß, dass die beschriebenen Alben meistens vom Style her komplett verschieden sind, alle auf ihre Art frisch. Also, hier dieses Mal der "unknown Kings"-Zweiteiler, frei nach dem Motto: "Wer sagt, HipHop ist tot, sucht nur an den falschen Stellen!"


Weekend – Fans gesucht



Dieser Herr Wiegand macht absolut keinen Hehl daraus, dass er aus gutem Hause stammt, im Neubaugebiet wohnt und Sozialpädagogik studiert – was heißt keinen Hehl, er reitet gar regelrecht darauf herum. Doch das heißt noch lange nicht, dass sich die Hörer mit pseudo-philosophischen Theorien über den Sinn des Lebens oder Anti-Drogen-Appellen rumärgern müssen. Ganz im Gegenteil: Hier wird kräftig ausgeteilt. Ob gegen dich, mich oder auch Prominenz – der junge Mann hat einiges zu sagen. Da wird Massiv resozialisiert, die No Angels bekommen Gratis-Kondome und Samy Deluxe ist ja generell sowieso schwarz. Neben gekonnt ausgeführten Rundumschlägen gegen alles und jeden behandelt Weekend sonst noch sein aktuelles Leben, sei es eine Hommage an sein Neubaugebiet oder ein Song über die Vorteile eines Studentenrappers – natürlich immer mit einer gesunden Prise Ironie. Raptechnisch bewegt er sich auf einem hohen Level, auch wenn diese geschriene Art vielleicht nicht für jeden auf Albumlänge zu ertragen ist. Muss aber eigentlich. Einzig und allein an den Hooks sollte noch etwas gearbeitet werden, so richtig eingängig sind die nämlich meistens nicht. Sonst gutes Ding. Nicht zu vergessen auch die geniale musikalische Untermalung von Peet, Obo und Begroove!

http://www.fansgesucht.de – kostenloser Download


Hizzi & Cheeks – Roboterfuß



Dass sich die beiden eindeutig an Kollegen wie Hollywood Hank, Favorite oder JAW orientiert haben, merkt man schon nach den ersten paar Songs. Denn oft wird da "Menschenhass betrieben", die verweste Leiche deiner Schwester zersägt oder mächtig Drogen genommen. Thematisch geben sich die Zwei auf 19 Tracks (mit Skits) sonst nicht wirklich viel, es wird zwar ab und an mal ein Song über die Liebe zu Rap verfasst, aber größtenteils werden eigentlich – mal mehr und mal weniger asozial – Rapper geschlachtet. Und das bringen Hizzi & Cheeks auch irgendwie mitreißend rüber. Diese Null-Bock-Stimmung, die hier gepaart mit dem offensichtlichen Spaß an der Sache versprüht wird, ist für mich auf ihre Weise total erfrischend. Da wird auf exklusive Beats, auf ganze Tracks und auf eigentlich alles geschissen und einfach mal ein 16er dazwischengeknallt. Textlich und technisch haben beide von Reimketten über Doubletime bis zu (zugegebenerweise teilweise wirklich banalen) Vergleichen einiges zu bieten. Und bei Zeilen wie "Du hast 'nen Kampfhund, ich 'nen Muskelkater – was willst du tun?" muss ich ehrlich gesagt immer wieder grinsen...

http://www.myspace.com/hizzicheeks – kostenloser Download


Maxat – Zu viel für Deutschland



Der 1981 in der ehemaligen UDSSR geborene Maxat zog erst im Alter von 13 Jahren mit seinen Eltern nach Deutschland, wo er laut Biographie das durchmachte, mit dem viele "Gangsta Rapper" gerne mal überspitzt angeben: Seine Familie musste in Notwohnungen und Übergangslagernin einem sozialen Umfeld hausen, in dem Kriminalität, Gewalt und der Kontakt zu Drogen zum Alltag gehörten. Durch kleinkriminelle Aktivitäten verschlug es ihn ein paar Mal in Richtung Gefängnis, trotzdem schaffte er es 2001, an einer Detmolder Gesamtschule sein Abitur zu machen. Und genau das ist das gewisse Etwas, das mich an Maxat fasziniert. So zeugt seine Art zu rappen zwar von einer gewissen Härte, hier wird sich aber nicht mit belanglosem Ghetto-Gequatsche begnügt, sondern auch mal über den Tellerrand hinausgeblickt (auch wenn das nicht unbedingt bei jedem Song klappt). Ob bewusst oder nicht, Maxat verzichtet auf Quadrupeltime und dreizehnsilbige Reimketten und legt dafür umso mehr Wert auf Aussage. So könnte das Werk mal wieder ein Beweis dafür sein, dass man sich nicht komplett von der Vergangenheit oder dem Erscheinungsbild eines Künstlers beeinflussen lassen sollte, sondern auch mal gut damit täte, etwas Toleranz an den Tag zu legen. Übrig bleibt ein Album, dass zwar in Sachen Technik nicht unbedingt das Fortschrittlichste ist, dafür aber umso mehr Herzblut beweist. Und die ein oder andere Ohrwurmhook ist nicht unmaßgeblich daran beteiligt.

http://www.maxat-music.de – zu kaufen


Du kennst jemanden (oder bist gar selbst der Meinung, dass du jemand bist), der dem Titel "unknown King" gerecht werden kann? Diese Person hat erst vor kurzem einen Tonträger oder Freedownload veröffentlicht, der eine Erwähnung in diesem Artikel wert ist? Schick eine Bewerbung mit dem Betreff "unknown Kings – *Künstlername*" an jan@rappers.in.
Bitte beachtet aber, dass ich nicht auf jede Anfrage persönlich antworten kann. Ihr werdet sehen, ob das Release dann letztendlich seinen Platz in dieser Sammlung findet. Viel Erfolg!

Dienstag, 1. September 2009

Review: Eko Fresh – JKWWADS




01. Jetzt kommen wir wieder auf die Sachen
02. Wer zuletzt lacht!
03. Bitte Spitte 2010
feat. Farid Bang
04. Die Auferstehung
05. Dream


"Eko rappt jetzt wieder wie früher!"
Dieser Aufschrei, der seit der Ankündigung des "Jetzt kommen wir auf die Sachen"-Nachfolgers "Jetzt kommen wir wieder auf die Sachen" durch die Szene geht, kommt mir doch irgendwie bekannt vor. Ich erinnere mich: Wir schreiben das Jahr 2005, als sich Eko Fresh nach "L.O.V.E."-, Türkisch-Rap- und vor allem Hate-Eskapaden durch Rap-Hörer und andere Rapper mit seiner "Abrechnung" zurückmeldet, um zu zeigen, dass er nach wie vor der König von Deutschland ist. Und genau, ihr ratet richtig, in eben diesem Track kündigt er mit eben dieser Zeile seine Rückbesinnung zum alten Rapstil an.
Und nach einem weiteren überraschenden Part auf "Flerräter" war dieses Nennen-wir-es-Comeback für mich gar nicht mal so abwegig. Dann wieder Imagewechsel. Die abgewaschene Cordon Sport von Bushido geerbt, schließt er sich nun dem ersguterjunge-Camp an. Die darauffolgende musikalische Entwicklung sei damit hinreichend dargestellt. Nun, 2009, ist Eko weg von Bushido und laut eigener Aussage wieder bei seinen Wurzeln angelangt – (fast) ganz ohne Disses. Er scheint gereift zu sein.

Als ich selbst anfing, mich mit deutschem Rap zu befassen, war "Jetzt kommen wir auf die Sachen" etwa ein Jahr draußen. Songs wie "Drück auf Play", die darauffolgenden Dinger mit Kool Savas und auch banale Disstracks wie die "Renexekution" haben mich in dieser Zeit entscheidend geprägt. Dieses freche Überhebliche in der Stimme des damals noch 16-jährigen unbeschwerten Ekrem Bora, dem man einfach das Feuer, die Liebe zu Rap, noch anmerkte. Kann man wieder daran anknüpfen? Kann man nach neun Jahren mehr oder weniger geglückten Imagewechseln einfach den Schalter umlegen und wieder zum energiegeladenen Jungen im Azad-T-Shirt werden?

"Ihr wart alle auf Aggro, ihr habt Optik geschoben/ Aber leider sind jetzt diese beiden doch nicht mehr oben/" – das sind die Zeilen, die Eko auf der "Abrechnung" direkt nach der oben schon genannten verkündet. Auf dem Opener und Titeltrack "Jetzt kommen wir wieder auf die Sachen" rappt er nun "OR ist jetzt weg, Aggro ist jetzt weg". Dass es jetzt wirklich zur Schließung der beiden an Deutschraps Entwicklung jahrelang maßgeblich beteiligten Indielabels kam, scheint er aber nicht als Genugtuung zu sehen. Insgesamt wirkt er reifer und deutet auch an, dass einer Versöhnung mit Kool Savas von seiner Seite aus nichts im Wege steht. Insgesamt fängt die leider nur fünf Songs starke EP sehr gut an und endet auch genauso. Lediglich in der Mitte mit "Bitte Spitte 2010" ist ihm plus Anhängsel Farid Bang ein Fehltritt gelungen, der weder mit textlicher Innovation, noch sonst irgendetwas glänzt. Wieder einmal ein Beweis dafür, dass man einen guten ersten Teil niemals mit einem schlechten Nachfolger strafen sollte.

Die Instrumentale sind so, wie man auch Ekos Texte – ja, eigentlich das gesamte Konzept der EP – verstehen kann: Als Ankündigung von etwas Großem – dem kommenden Album. So rappt er mal auf apokalyptischen Orgeln oder theatralischen Streichern, während sich seine Texte größtenteils um das Gleiche drehen: Er ist zurück, rappt wieder wie früher, die Szene ist schlechter als er. Das wunderschöne "Dream" darf man dabei aber nicht vergessen:

"Wo ist Torch, wenn man ihn braucht?/
Meine Mucke namens HipHop hat sich wie in Bordellen verkauft/
"

Natürlich, es bleibt fragwürdig, ob solche Textstellen zu dem Eko passen, den wir über die Jahre kennenlernten. Nunja, eben der, der jung war und das Geld brauchte und sein Image fast so oft wechselte wie Socken – oder Labelbosse. Abgesehen davon erzählt der Song die Geschichte des jungen Platten-diggenden Teenagers so gefühlvoll, dass man selbst auch wieder anfängt, in eigenen Erinnerungen an die Anfänge im HipHop zu schwelgen.

Fazit:
Eko Fresh rappt nicht unbedingt wieder wie früher. Seine Stimme hat sich verändert und auch er selbst hat nach all den Jahren einen gewissen Reifeprozess hinter sich, den man ihm auch anmerkt. Das bedeutet beileibe nichts Schlechtes. Die EP weiß mit gutem Opener und Abschluss zu überzeugen, doch die Thematik, mit der der Künstler sich hier befasst, wird nicht ausreichen, um ein ganzes Album zu füllen. Darauf kann man aber aufbauen. Gutes Nennen-wir-es-Comeback!

Sonntag, 23. August 2009

unknown Kings: Juli 2009

An dieser Stelle noch mal herzlichen Dank an Bene für den Artikel zu Tapete & Crying Wölf!


Tapete & Crying Wölf – Tapeter und der Wölf: Vol.1 Lip Gloss




Tapete? Das doch kein Name für 'nen Rapper. Und auch wenn er persönlich aggressiven Sprechgesang nicht besonders mag, beinhaltet sein Lebenslauf doch alles für eine erfolgreiche Karriere im Biz. Er ist Schulabbrecher (harte Kindheit), war wegen Schwarzfahren schon ein paar Tage im Gefängnis (Crime), hatte einige Zeit kein Dach über dem Kopf (Streetcredibility), klagte sich aus einem einengenden Majorvertrag frei (Realness) und besitzt mindestens vier MySpace-Profile (Publicitiy). Die gemeinsam mit dem Sänger Crying Wölf entstandene EP "Tapeter und der Wölf: Vol. 1 Lip Gloss" verarbeitet allerdings kaum etwas davon, sondern ist einfach geschmeidiger Elektrorap zum Abgehen und Wohlfühlen. Auf stiltechnisch schlecht einzuordnenden, innovativen Beats werden halbironisch Lieblingskioskkühlregale, Taugenichtsdasein und Brustmuskeln thematisiert. Und auch wenn flowtechnisch keine große Abwechslung geboten wird, bekommt man von dem Künstlerduo wunderbaren Rap, der ins Ohr geht und zum Abdrehen einlädt. Vor allem für Leute, die auf der Suche nach Abwechslung zum harten HipHop-Game sind, ist Tapete ein Muss. Oder in seinen Worten: "Ich hasse diese Lieder von auch so Rapper und so. Die machen da immer so Namennennen und dann irgendwie so Sauereien erzählen... nur mal so abschließend jetzt."

http://www.myspace.com/tapeteberlin – kostenloser Download


Manges – Logistik



"Hey, dein CD-Player hängt!", so meine kostverächtende Freundin eines Tages im Auto, als ich das Album des Darmstädter Rappers und Produzenten zum Probehören eingelegt hatte. Und es stimmt schon irgendwie. Manges lässt sich viel Zeit beim Aufbau seiner Songs. Mit charakteristischen, immer wiederkehrenden Schlagzeug-Sequenzen, Interludes zwischen den Stücken und den insgesamt sehr minimalistisch gehaltenen Instrumentalen wirkt das Album eher wie ein einziger Song, ein großes Gesamtwerk. Dabei scheint der Rapper aus dem Hause Kehlkopf zwar etwas atemlos, allerdings ohne dabei Hektik zu verbreiten. Ich glaube 'smooth' ist ein wirklich passender Ausdruck dafür. Schon mit seinem 2003 erschienenen Werk "Regenzeit in der Wüste" weckte Manges Hoffnungen auf weitere frische und spannende Produktionen. Und das bestätigt er sechs Jahre später nun mit "Logistik". Super durchproduziert, lässige, wenn auch technisch nicht unbedingt progressive, Raps und ehrliche Texte, die mit einfacher Sprache auf den Punkt treffen. Klasse Ding – und leider das letzte aus dem Projekt Manges. Doch neue Wege wollen beschritten werden...

http://www.myspace.com/madingermany – zu kaufen


Sokom – Raus mit der Sprache



So etwas habe ich selten erlebt. Wenn ich das Cover sehe, dann stelle ich mir auf jeden Fall eine andere Stimme für Sokom vor als die, die bei "Raus mit der Sprache" eben raus mit der Sprache kommt. Dunkel und rough statt jung und hoch. Und dann macht dieser Jungspund auch noch Musik, die man eigentlich einige viele Jahre früher einordnen möchte. Zu recht bezeichnete sich Sokom als Oldschooler im Herzen. Textlich orientiert sich der junge Rapper aus Freiburg an seinem Album-Titel (Überraschung!) und spricht melancholische und persönliche Themen an, mit denen man sich gut selbst identifizieren kann, lässt aber auch in Battletracks die weibliche Grippenverbreiterin raus. Die Produzenten verleihen den Songs mit meist krachenden Beats ein vielfältiges Klangbild – der rote Faden geht trotzdem nicht verloren. Einziges Manko: Auch wenn man Sokom die textliche und technische Routine anmerkt, wirkt er teilweise noch etwas unsicher; vor allem auf schnelleren Beats kommt er etwas angestrengt und gehetzt rüber. Ein durchaus solides Werk!

http://www.myspace.com/sokomone – zu kaufen


Du kennst jemanden (oder bist gar selbst der Meinung, dass du jemand bist), der dem Titel "unknown King" gerecht werden kann? Diese Person hat erst vor kurzem einen Tonträger oder Freedownload veröffentlicht, der eine Erwähnung in diesem Artikel wert ist? Schick eine Bewerbung mit dem Betreff "unknown Kings – *Künstlername*" an jan@rappers.in.
Bitte beachtet aber, dass ich nicht auf jede Anfrage persönlich antworten kann, ihr werdet sehen, ob das Release dann letztendlich seinen Platz in dieser Sammlung findet. Viel Erfolg!


(Jan König und Benedikt Dirschl)